Die Erinnerungsarbeit hat mich verändert

Martina Richard (links) beim Regionaltreffen von ZFD-Partnerorganisationen in El Salvador

Als ZFD-Koordinatorin bewunderte Martina Richard die ZFD-Partnerorganisationen. Sie hielten die Spuren von Gewalt und Unterdrückung aus der Vergangenheit fest, um ihre Erinnerungsarbeit zu vertiefen. Und sie stellte fest, dass Deutschland kein "Erinnerungsweltmeister" ist.

 

Martina Richard war bis Anfang 2025 Koordinatorin des Regionalprogramms Ziviler Friedensdienst (ZFD) von AGIAMONDO in Zentralamerika. Rückblickend spricht sie darüber, wie der Aufenthalt sie verändert und was sich im Programm Neues ergeben hat.  

Was war Ihre Aufgabe? Und was hat sich durch Ihre Mitarbeit verändert?

Martina Richard: Als ZFD-Koordinatorin war ich bei ODHAG, dem Menschenrechtsbüro der Erzdiözese Guatemala, angesiedelt. Ich habe die ZFD-Fachkräfte in Guatemala, El Salvador und Süd-Mexiko begleitet und Kontakte zu den Partnerorganisationen gepflegt, in denen sie mitarbeiten. Auch das Beobachten der politischen Lage in den drei Ländern und die Suche nach neuen interessanten Akteuren für die zukünftige Friedensarbeit gehörten dazu.

Bei meinem Arbeitsbeginn 2019 wirkten die Partnerorganisationen noch nebeneinander. Mir war es wichtig, sie zu verbinden und ein wirkliches Programm zu entwickeln, in denen alle voneinander lernen und, da wo möglich, miteinander kooperieren.
Die starke Zusammenarbeit mit den ZFD-Fachkräften in der Corona-Zeit war beflügelnd. Wir mussten auf digitale Angebote umsteigen und entwickelten bei den wöchentlichen Zoom-Treffen gemeinsam Ideen und Projekte, die die Fachkräfte mit ihren Partnerorganisationen umsetzten. Das virtuelle Museum der Casa Memoria in Guatemala-Stadt ist dafür ein Beispiel. Eine Fachkraft, die bei einer Jugendorganisation in Sololá eingesetzt war, arbeitete über WhatsApp-Ketten mit indigenen Jugendlichen zusammen. Sie lernten von einem Filmemacher, Videos über ihr Leben zu drehen und teilten die Clips mit anderen jungen Menschen auf Social Media-Plattformen. Diese Projekte trugen dazu bei, die Methodenvielfalt zu erhöhen und die Möglichkeiten digitaler Medien stärker zu nutzen.

Martina Richard und Nery Rodenas, der Direktor von ODHAG, bei einem Interview zur Bedeutung der Erinnerungsarbeit. Das Gespräch fand im Erinnerungszentrum des Menschenrechtsbüros ODHAG statt.
Stefan Pleisnitzer, ZFD-Koordinator in Kolumbien, und Martina Richard vor dem Gebäude der Partnerorganisation CALDH (Centro Para la Acción Legal en Derechos Humanos) in Guatemala. Ins Deutsche übersetzt heißt es Zentrum für rechtliche Maßnahmen im Bereich der Menschenrechte.
Martina Richard leitet ein Planungsseminar mit ZFD-Fachkräften und Kolleg*innen von Partnerorganisationen in San Salvador.
Regionaltreffen mit allen Partnerorganisationen in El Salvador
In Sri Lanka trafen sich ZFD-Koordinator*innen von AGIAMONDO zum Austausch über den Themenschwerpunkt "Dealing with the Past", in Deutsch "Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit". Das ZFD-Programm in Sri Lanka arbeitet zu diesem Schwerpunktthema und so konnten die Teilnehmer*innen Partnerorganisationen besuchen und deren Arbeit vor Ort erleben.

Was hat Sie begeistert und was hat sich bei Ihnen verändert?

Martina Richard: Ich bin mit einem Gefühl von Zufriedenheit und Dankbarkeit aus meiner Tätigkeit in Zentralamerika ausgeschieden. Es war eine in jeder Hinsicht erfüllende Aufgabe. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit AGIAMONDO war dafür grundlegend. Ohne das Gefühl, dort gut beheimatet zu sein, wäre mein Einsatz so nicht möglich gewesen.

Dass die Partnerorganisationen sich so entschlossen auf den Weg gemacht haben, ihre Erinnerungsarbeit zu vertiefen und neu aufzustellen, habe ich bewundert. Denn es ist ja immer auch eine gefährdete Arbeit: Wer die Vergangenheit einordnet, die Spuren von Gewalt und Unterdrückung sichert, fordert auch die Gegenwart heraus.
Die Erinnerungsarbeit hat mich auch persönlich verändert. Um glaubwürdig zu sein und Dinge einordnen zu können, war es für die Beschäftigung mit der gewaltbelasteten Vergangenheit in Zentralamerika zwingend, mich auch stärker mit der deutschen Vergangenheit zu beschäftigen. Bei mir lief immer mit: Wie war das in Deutschland? Wie lange hat es gedauert, bis die Bereitschaft da war, sich aktiv der Erinnerung zu stellen? Dabei wurde mir klar, dass Deutschland kein "Erinnerungsweltmeister" ist, wie so manche selbstgefällig glauben machen wollen, sondern noch immer Lücken im Thema hat.

Das macht demütig und geduldig. Jeder Auslandsaufenthalt lässt einen etwas bescheidener werden: Man verändert kein Land, aber man kann Impulse setzen, einzelne Bereiche können erblühen. Man versteht aber auch besser, welche Fehlentwicklungen es in Deutschland selbst gibt.
 

Zurück in Deutschland: Wie geht es nun für Sie weiter?

Martina Richard: Es gibt einen ganzen Strauß an Aktivitäten, über den ich mich freue. Zeit mit meiner Familie – den Töchtern, der Enkelin, meiner Schwester – und mit Freund*innen zu verbringen sowie Reisen gehören dazu.  Das Schreiben möchte ich wieder mehr pflegen. Ich denke daran, Kurzgeschichten über Themen wie z.B. die Erinnerungsarbeit oder soziale Gerechtigkeit zu verfassen. Auch die ehrenamtliche Vorstandstätigkeit in einer NRO der Friedens- und Entwicklungsarbeit, ist mir wichtig. Und den einen oder anderen Beraterinnenauftrag zu übernehmen, würde mich auch freuen. Beim Senior Expert Service (SES) habe ich mich jedenfalls schon mal registrieren lassen. Bei all den festen Plänen soll auch der Zufall genügend Raum bekommen, damit sich Unverhofftes und Ungeplantes frei entwickeln und mich überraschen können. Ich hoffe, noch viel Zeit zu haben, für all die Wunder des Lebens.

01.08.2025

Interview/Bearbeitung: Ursula Radermacher