Interview zum Abschied von Susanne Thiele

Ursula Radermacher/AGIAMONDO

"Ich habe meine Begabungen, meine Zeit, meine Gedanken und mein Engagement in den Dienst der Gesellschaft gestellt." Mit diesem Wissen geht Susanne Thiele in den Ruhestand.

Die studierte Ethnologin hat mehr als 30 Jahre bei AGIAMONDO gearbeitet, zuletzt als Referentin im Team Personalvermittlung im Auftrag. Im Interview zieht sie Bilanz und erzählt von ihren Zukunftsplänen.

Frau Thiele, Sie haben mehr als 30 Jahre bei AGIAMONDO gearbeitet. Was waren für Sie die beruflichen Highlights?

Es ist natürlich kaum möglich, diesem langen Zeitraum mit wenigen Worten gerecht zu werden. Als ich Anfang der 90er Jahre anfing, gab es bei der AGEH (Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe) für die vermittelten Fachkräfte die Vor- und Nachbereitung. Ich habe diese Bereiche zur Personalentwicklung für Fachkräfte aufgebaut. Andere Entwicklungsorganisationen haben sich davon inspirieren lassen.

Ein weiteres Highlight war, mit interessanten und engagierten Menschen zusammengearbeitet zu haben: vor allem mit den Fachkräften von der Ausreise bis zur Rückkehr und deren Projektpartner*innen in den Gastländern sowie mit den vielen engagierten Kolleg*innen bei AGIAMONDO und darüber hinaus. Ich habe es auch genossen, mit Ressource-Personen, wie z. B. Trainer*innen und Coaches, die Angebote für die Begleitung von Fachkräften zu entwerfen, ich konnte bewirken, dass wir als erste deutsche Organisation der Personellen Zusammenarbeit Fachkräfte mit systematischem Coaching und Sicherheitstraining unterstützten.

Die Gastlandsveranstaltungen, die ich neu konzipiert und verantwortet habe, waren auch ein Highlight. Dort kamen Fachkräfte, ihre lokalen Vorgesetzten und Kolleg*innen aus verschiedenen Projekten zusammen und tauschten sich aus. Das war unter kulturellen Gesichtspunkten hochinteressant und aufschlussreich. Die Teilnehmer*innen konnten wahrnehmen, dass doch alle das gleiche Ziel haben: die Welt ein bisschen besser zu machen – dass aber zugleich alle dabei interkulturell an ihre Kanten stießen. Ein gegenseitiges Verstehen füreinander zu erzeugen, gemeinsam Ideen für die Überwindung von Konflikten zu entwickeln, einer kompakten Zusammenarbeit näher zu kommen, machte die Treffen einzigartig. Oft haben mir die Teilnehmer*innen von den positiven Auswirkungen über die darauffolgenden Jahre hinweg erzählt, das war der beste Lohn für mich.

 

Ursula Radermacher/AGIAMONDO
Privat
Ursula Radermacher/AGIAMONDO
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Rendel Freude/AGIAMONDO
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Was haben Sie in der Zeit bei AGIAMONDO für sich selbst erreicht?

Ich konnte meine Begabungen, wie etwa meinen systemischen Blick, in den Dienst der Gesellschaft stellen. Ich konnte mitwirken, dabei sein, mit anderen Menschen arbeiten. Ich konnte Autonomie, Kompetenz, Sinn und Gestaltungsspielraum in meiner Tätigkeit erleben. Historisch und biografisch begründet ist Gerechtigkeit ein wichtiges Thema für mich, dafür konnte ich mich einsetzen.

Wenn Sie früher und heute vergleichen: Was hat sich bei AGIAMONDO markant verändert?

Als ich Anfang der 90er Jahre angefangen habe, hießen wir noch "Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe" kurz: AGEH. Wir haben mehr und mehr Probleme mit den politischen Konnotationen dieser Begriffe empfunden, vor einigen Jahren wurde der Name in "AGIAMONDO" geändert. In den 90er Jahren war die Professionalisierung ein großes Thema. Aus Entwicklungshelfer*innen wurden Fachkräfte, Wirksamkeit sollte erfasst und messbarer werden.

Während es in den 90er Jahren noch recht ungewöhnlich war, für mehrere Jahre in einem außereuropäischen Land zu arbeiten und zu leben, sind seit den 0-er Jahren viele Bewerber*innen international reiseerfahren und haben auch oft schon längere Zeit im Ausland gelebt. Inzwischen ist das sogar oft eine Voraussetzung für eine Vermittlung.

Interessante Diskussionen entwickelten sich Anfang der 2000er Jahre als die Bundesregierung dem Druck der Zivilgesellschaft nachgab und das Programm "Ziviler Friedensdienst" geschaffen wurde und die Frage aufkam, ob jeder Entwicklungsdienst nicht immer auch ein Friedensdienst sei. Im Zivilen Friedensdienst realisierte sich in jedem Fall das starke Potenzial thematischer Ausrichtung und die Kraft des Zusammenwirkens im Rahmen eines Konsortiums. Mit spezifischen Qualifizierungsmaßnahmen konnte ich einen Beitrag leisten, dass die ZFD-Fachkräfte für ihr Leben und ihre Arbeit in den besonderen und immer herausfordernden Rahmenbedingungen gestärkt und gut begleitet sind.

Im vergangenen Jahrzehnt konnte ich schließlich die Einführung des überfälligen Süd-Nord-Dienstes miterleben. Hier werden Fachkräfte aus dem globalen Süden in Partnerorganisationen in Deutschland vermittelt.

Welche Pläne haben Sie für Ihre Zukunft?

Mein Fokus ab Mitte Mai liegt darauf, an meinen Buchprojekten zu arbeiten, konkret schreibe ich Gedichte und autobiografisch. Ich freue mich sehr darauf und habe bislang viel positives Feedback erhalten, auch von meinen drei Kindern. Nichtsdestotrotz ist der Abschied von AGIAMONDO nach so vielen Jahren nicht nur mit Euphorie verbunden, sondern auch mit Wehmut. Ich war gerne ein Teil dieser weltweiten Arbeitsgemeinschaft. Mal schauen, vielleicht kann ich mich ja über das Dienstende hinaus weiter einbringen.

 

30.04.2024

Interview: Stefanie Hallberg